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„Wir brauchen wieder eine echte Rente“

Erschienen am:
22.11.2019

„Wir brauchen wieder eine echte Rente“ von Dr. Theodor Weimer

Der demografische Wandel und die Niedrigzinsen stellen die Vermögensbildung fürs Alter vor fundamentale Herausforderungen. Wir müssen handeln: Der Kapitalmarkt muss einen festen Platz in der Altersvorsorge bekommen.

Dr. Theodor Weimer, Vorstandsvorsitzender, Deutsche Börse AG

Jahrzehnte lang war die Sachlage einfach: Rentenkasse, Tagesgeld, Lebensversicherung – wer langfristig und regelmäßig spart, kommt im Alter gut aus. Dieses Rezept war dank Zins und Zinseszins nicht nur rentabel, sondern auch weitgehend frei von Risiken. Doch mit den sinkenden Zinsen hat sich das Blatt gewendet.

Hinzu kommt, dass sich die deutsche Alterspyramide weiter verschiebt: Die Baby-Boomer beenden in den nächsten Jahren ihr Berufsleben. Liegt der Anteil der über 67-Jährigen in der Bevölkerung heute noch bei rund 19 Prozent, werden es in nicht mal 15 Jahren schon 25 Prozent sein. Das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente gerät dadurch in Schieflage – und der Bund muss immer mehr zuschießen. 

Damit das Einkommen im Ruhestand auch künftig ausreicht ohne die arbeitenden Generationen übermäßig zu belasten, braucht es ein neues, tragfähiges Konzept.

Woran unsere Altersvorsorge lahmt, ist leicht auszumachen: Wir schöpfen nicht das volle Potential aus. Unser Fokus in Deutschland liegt auf der gesetzlichen Rente – doch das ist nur eine von drei Säulen beim Thema Vorsorge. Die Möglichkeiten der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge bleiben nahezu ungenutzt. 

Während Zahlungen in die gesetzliche Rente verpflichtend sind, basieren die beiden anderen Säulen auf Freiwilligkeit – oder besser gesagt auf Eigeninitiative. Jeder ist seines Glückes Schmied. Und klarer Verlierer ist der, der ausschließlich die staatliche Rentenkasse bedient. 

Eine Umkehr ist nicht in Sicht. Stattdessen pocht der Staat bei einer Vielzahl von Produkten zur privaten Altersvorsorge auf Garantien. Doch durch die niedrigen Zinsen wird kaum noch Rendite erzielt, der Zinseszinseffekt bleibt aus. Die Kosten für die von den Deutschen so geliebten Garantien gehen zu Lasten der langfristigen Vermögensbildung.

Wo liegt nun die Lösung? Am Kapitalmarkt! Nur dort lässt sich langfristig eine höhere Rendite erzielen. Andere Länder machen es vor: In Schweden etwa wird ein Teil der gesetzlichen Altersvorsorge über den Kapitalmarkt erwirtschaftet. Die Schweden sind so zum Volk von Aktionären geworden – und profitieren sehr davon. 

Die dortige Prämienrente ist ein Ansparverfahren, das auf einer reinen Beitragszusage basiert, zusätzliche Garantien gibt es nicht. 2,5 Prozent vom Bruttoeinkommen werden monatlich angespart, Arbeitnehmer können aus verschiedenen Fonds wählen, je nach Risikobereitschaft. Wer nichts wählt, spart in den Standardfonds AP7 Såfa, der vor allem in Aktien investiert. Schweden ist damit nur eines von vielen Ländern, die in der Altersvorsorge auf Aktien setzen. 

Nun wird manch einer aufschreien: Aktien? Zu riskant! Breit streuen und langfristig investieren ist die Antwort darauf. Wer das befolgt, dem zeigt die Statistik: Mehr Risiko wird mit höherer Rendite belohnt. 

Der schwedische AP7 Såfa hat seit 2000 so jährliche Renditen im hohen einstelligen Bereich erwirtschaftet. Investments in den DAX haben seit 1968 jährlich 7 Prozent Rendite erbracht. Und wen das noch nicht überzeugt: Die weltweit wichtigsten Aktienmärkte haben seit dem Jahr 1900 eine durchschnittliche jährliche Rendite von 5 Prozent erzielt – trotz Wirtschaftskrisen, Weltkriegen und Inflation. Tagesgeld-Sparer und Renten-Einzahler können davon nur träumen.

Ein wirksames Mittel, um zumindest einen Teil der Arbeitnehmer an den Kapitalmarkt heranzuführen, sind Belegschaftsaktien. Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung fördert den langfristigen Vermögensaufbau mit Aktien und stärkt zudem die Identifikation mit dem Arbeitgeber. Sie baut auch Barrieren ab, etwa die Angst, durch fehlendes Wissen am Kapitalmarkt zu scheitern. Der Staat kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten, indem er diese Form der betrieblichen Altersvorsorge stärker fördert – durch höhere Freibeträge für Arbeitnehmer oder vereinfachte Prozesse für Unternehmen. 

Die Parteien der großen Koalition haben erkannt, dass die Altersvorsorge gestärkt werden muss; das haben sie sich in den Koalitionsvertrag geschrieben. Wie auch immer diese Stärkung aussehen wird, drei Erkenntnisse sollten unbedingt berücksichtigt werden. Erstens: Garantien kosten Rendite. Zweitens: Altersvorsorge muss auch am Kapitalmarkt stattfinden. Und drittens: Wir brauchen Produkte, die jedem von uns zugänglich sind und keine hohen Verwaltungskosten haben.

Von einer kapitalbasierten Altersvorsorge würde auch der Fiskus erheblich profitieren. Denn wer es versäumt, privat fürs Alter vorzusorgen, für den wird er später aufkommen müssen – und damit letztlich der Steuerzahler. Der Bund hat sich in den vergangenen Jahren vor allem beim Ausbau der Sozialleistungen spendabel gezeigt, zuletzt bei der Grundrente. Die Frage der langfristigen Finanzierung unseres Rentensystems bleibt hingegen unbeantwortet. 

Unser Rentensystem braucht eine echte Reform. Denn wir brauchen wieder eine echte Rente. Eine Rente, die zum Leben reicht.

Von Dr. Theodor Weimer
Der Artikel ist zuerst in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. November 2019 erschienen.

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